5 Tage Bildungsbiennale in Nantes

Unser innovatives Schulkonzept ist gefragt.

Die „Nouvelle Éducation“
Dieser Bericht beginnt mit einem Übersetzungsproblem. Ich habe diese Herbstferien 2024 auf der vierten „Biennale de l‘Éducation Nouvelle“ in Nantes verbracht. Neue „Erziehung“ sollte man besser mit neuer „Pädagogik“ übersetzen.
Seit 1900 gibt es ein europaweites Bestreben, die Schule zu erneuern. Nach dem Ersten Weltkrieg hat sich diese Bewegung zum Ziel gesetzt, Kriege zu verhindern, ein friedliches Miteinander und selbstständiges, kritisches Denken zu ermöglichen, ohne Vorgegebenes stupide zu reproduzieren. Eigenverantwortung, Kreativität, Naturverbundenheit und eine antifaschistische Grundeinstellung prägen die Pädagogik dieser Zeit.

In diese Zeit fällt nicht zuletzt auch die Gründung des Abendgymnasiums, der ehemaligen „Arbeitermittelschule“, deren Ziel es war, für mehr Chancengleichheit zu sorgen. Die Grundidee stammt von Wanda Lanzer, die in Wien erste Kurse für Arbeiter ins Leben rief.
Die Schweiz, Frankreich, Deutschland, England, später auch Dänemark, Südafrika, Australien stehen auf der Liste derer, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts Kongresse abhalten und Vereine gründen. Seit den 1980er-Jahren sind auch Belgien, Russland, Italien und Spanien und seit kurzem auch Rumänien dabei. Österreich ist hier bisher nicht im Netzwerk.
Pädagogische Vorbilder sind Maria Montessori, Célestin Freinet, Roger Cousinet oder Gisèle de Failly. Rudolf Steiner fehlt hier bewusst, denn sein Konzept wird in Frankreich als sektiererisch und indoktrinierend angesehen.
Hauptziele der Bewegung sind der Kampf gegen Exklusion und Diskriminierung , kulturelle Bildung, Medienbildung  und Umweltbildung und soziale Verantwortung, nicht nur für Lehrer/-innen, sondern auch für Freizeitpädagog/-innen.

Warum war das Abendgymnasium vertreten?
In Rahmen unserer Erasmusplus-Schülerreise nach Paris im März dieses Jahres hat es sich ergeben, dass Christa Kaissl und ich von Kolleg/-innen des „Pôle Innovant Lycéen“, wo wir den Unterricht besuchten, eingeladen wurden, unsere Schule bei der Biennale vorzustellen. Schließlich habe ich mich auf den Weg gemacht – gefördert von Erasmus+.
Da ohnehin jedes Jahr Inspektoren und Direktoren aus den Akademien Lille und Amiens an unsere Schule kommen, nahm ich diese Einladung zum Anlass, eine ausführlicher Präsentation auf Französisch vorzubereiten. Im Rahmen der sogenannten „offenen Vorschläge“, die zwischen den diversen Workshops stattfanden, haben sich dann ein paar interessierte Lehrer/-innen gefunden, die zum Vortrag kamen. Man muss sagen, dass die Pausengespräche effizienter waren als der Vortrag. Jedenfalls erwarte ich schon zahlreiche Besuchsanfragen aus aller Welt.

Dazugelernt?
Ich selbst habe an Vorträgen, Workshops und Debatten zum interkulturellen Lernen, zu Transidentitäten, Drop-out, sozialer Gerechtigkeit, alten Berufen sowie konsumkritischem Verhalten und demokratischen Entscheidungsprozessen teilgenommen.
Dazwischen habe ich in der Großküche die Spülmaschine gefüllt.
Die Veranstaltung war nämlich kooperativ angelegt: Die ca. 450 Pädagog/-innen aus 21 Ländern beteiligten sich am Putzen, Kochen und Abwaschen. Der Austausch war inhaltlich und organisatorisch bereichernd, so konnte ich Kolleg/-innen aus Algerien, Italien, Belgien, der Schweiz, dem Senegal und Ruanda persönlich kennen lernen.
An einem Kongress aktivistischer, also politisch engagierter, Pädagog/-innen aus so vielen Ländern teilnehmen zu können, war meine bisher spannendste Erasmus-Mobilität.
Jedenfalls ist nun unsere Schülerreise nach Paris im März 2025 fixiert und wir haben zwei neue mögliche Partnerschulen:
Das Lycée expérimental in St. Nazaire bei Nantes und das Lycée expérimental (CEPMO) auf der Île d’Oléron. Da müssen wir dann aber einmal im Sommersemester hinfahren.

Ja, es stimmt, das Schulsystem, pädagogische Konzepte und die Möglichkeit oder Nicht-Möglichkeit, sich an Lernprozessen beteiligen zu können, all das hat immer gesellschaftspolitische Auswirkungen.
Für mich war es interessant zu sehen, wie politisch engagiert und organisiert die meisten der Pädagog/-innen bei dieser Biennale waren. Angesichts des Rechtsrucks, den wir derzeit in vielen Ländern verzeichnen, war dieses gallische Dorf eine erfrischende Abwechslung, auch wenn ich mich zeitweise wie auf einem Jungscharlager gefühlt habe.
Zum Nachdenken: Kann es sein, dass ständige Veränderungen und Neuerungen vorrangig dazu dienen, für Unklarheiten und Unsicherheit zu sorgen, um Machtverhältnisse zu konsolidieren?

Ich denke noch darüber nach.

Text: LAS;  Foto: PAN

Nach oben scrollen