Geschichte des Abendgymnasiums

1940 wurden auch Frauen aufgenommen, doch es dauerte bis 1987/88, bis erstmals mehr weibliche als männliche Studierende (51%) diesen zweiten Bildungsweg wählten.

Zu den großen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten gehören die Einführung von Informatik (1989/90), die Möglichkeit der vorgezogenen Reifeprüfung (1992) und der Fernunterricht (1995).
Mit der Einführung des Modulsystems (2011) übernimmt das Abendgymnasium Linz eine oberösterreichweite Vorreiterrolle im Bereich der AHS.

Die letzten Neuerungen bestehen im Angebot eines Quereinsteiger-Semesters, speziell für Studierende mit Vorkenntnissen sowie einem dritten Zweig, dem Wirtschaftskundlichen Realgymnasium.

Das Linzer Abendgymnasium …

war das erste seiner Art in Österreich. Es wurde 1928 als Arbeitermittelschule, kurz AMS, gegründet. Die Absolventen waren denen von Realgymnasien gleichgestellt.

Das Linzer Abendgymnasium – ein historischer Streifzug

24.07.1928 Das Bundesministerium für Unterricht erlässt eine Verordnung über die „versuchsweise Einrichtung von mehrjährigen Kursen (Arbeitermittelschulen)”, deren Absolventen den Maturanten an herkömmlichen Realgymnasien gleichgestellt sein sollen.

 19. 09. 1928 Die Eröffnung der ersten Halbjahreslehrgänge (Standorte Linz und Wien) wird vom Ministerium angeordnet. Da sich der Schulstart in Wien wesentlich verzögert, beginnt die Geschichte der “Arbeitermittelschulen” (AMS) Österreichs in Linz. Erster Direktor wird Dr. Hans Stadlmann. Die nächste AMS wird im Februar 1929 in Graz eröffnet.

1938–1945 Obwohl das Deutsche Reich keine staatlichen Schulen von der Art der AMS führt, können die bestehenden Standorte in Linz und Graz in der Zeit des “Anschlusses” Österreichs weitergeführt werden. Frauen werden erstmals im Jahr 1940 aufgenommen. Der kriegsbedingte Rückgang der Studierendenzahlen führt zur Emanzipation im Bildungsbereich.
Im Herbst 1942 werden erstmals weibliche Lehrkräfte eingestellt.

1945–1953 Die Kriegsheimkehrer lassen die Studierendenzahlen stark ansteigen. Das Problem der von der Besatzungsmacht verhängten nächtlichen Ausgehsperre wird durch spezielle Erlaubnisscheine für Abendschüler bewältigt. Am 16. 12. 1950 tritt ein neues Organisationsstatut für die AMS in Kraft, welches für die Schule fast ein halbes Jahrhundert lang Orientierung und Rahmen werden sollte.

1953–1964 Gründung des Absolventenverbandes am 29. 9. 1961. Die Anzahl von männlichen und weiblichen Studierenden steht im Verhältnis 85:15.

1962: Das neue Schulunterrichtsgesetz bewirkt eine Umbenennung der Schule von „Arbeitermittelschule“ (kurz AMS) auf “Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium für Berufstätige“.

1964–1978 Im Wintersemester 1972/73 wird mit 692 Studierenden der absolute Höchststand erreicht.

1978–1988 Die Zahl der Studierenden geht bis auf 266 zurück. Dies ist bedingt durch die Einführung von Studienberechtigungsprüfungen an den Universitäten. Der prozentuelle Anteil der weiblichen Studierenden erreicht im Wintersemester 1987/88 einen vorläufigen Höchststand von 51%.

1988–1998 Mit dem Schuljahr 1989/90 tritt ein neuer Lehrplan in Kraft, der Informatik als neues Fach einführt. Seit 1992 gibt es die Möglichkeit vorgezogener Reifeprüfungen in den Realienfächern. Der Einstieg von Schulabbrechern von Tagesschulen in ein höheres Semester wird wesentlich erleichtert und führt zur Stabilisierung der Studierendenzahl.

Seit dem Wintersemester 1995 gibt es die Möglichkeit des Fernstudiums, das vor allem auswärtigen Studierenden und Berufstätigen mit unregelmäßigen Dienstzeiten sehr entgegenkommt. Die Studierenden werden schriftlich (E-Mail, Lernplattform) betreut und haben jeden Freitag Gelegenheit, persönlich unterrichtet und beraten zu werden.

Mit 01. 03. 1997 wird das neue SchUG-B in Kraft gesetzt. Grundsätze einer Deregulierung, Dezentralisierung und Autonomisierung prägen dieses Gesetz.

Seit Herbst 1997 gibt es intensive Reformgespräche, um die Abendgymnasien noch attraktiver zu machen. So wie vor 70 Jahren ist das Linzer Abendgymnasium auch heute Vorreiter und setzt sich für eine deutliche Verkürzung der Studiendauer ein, und zwar mit Modulsystem und verstärktem Fernstudium.

Mit Beginn des Wintersemesters 2011 wird in allen Abendgymnasien mit einem neuen SchUG-B das Modulsystem eingeführt, das den Studierenden eine flexiblere Wahl des Studienverlaufs erlaubt.

Im September 2013 übernimmt Mag.a Andrea Etzlstorfer  als erste Frau die Leitung der Schule. 

Mit Beginn des Wintersemesters 2014 beginnt das Quereinsteiger-Semester, ein speziell auf Schulabbrecher abgestimmtes Semester, das den Anschluss in das nächsthöhere Semester erheblich erleichtert.

Im Wintersemester 2017 meldet sich der 600. Studierende an. 

Vom Sommersemester 2020 bis zum Sommersemester 2021 findet der Unterricht, verursacht durch die Corona-Pandemie großteils im Distance-Learning statt – Fernunterricht für alle.

Mit dem Wintersemester 2023 startet ein dritter Schulzweig, das Wirtschaftskundliche Realgymnasium.


Quelle: Gober, Elisabeth: „70 Jahre AMS Linz 1928-1998 – Historische Blitzlichter”; aktualisierte Fassung

Das älteste Abendgymnasium Österreichs feiert seinen 95. Geburtstag

Das Linzer Abendgymnasium war das erste seiner Art in Österreich. Es wurde 1928 mit Unterstützung von Gewerkschaft, Arbeiterkammer und Diözese Linz als „Arbeitermittelschule“(AMS) gegründet und in der Spittelwiese unter einem Dach mit dem Akademischen Gymnasium untergebracht. Man hatte damals erkannt, dass bildungshungrige Arbeiter, deren wirtschaftliche oder persönliche Umstände es nicht erlaubt hatten, eine höhere Schule zu besuchen, neben dem Beruf die Möglichkeit bekommen sollten, im 2. Bildungsweg die Reifeprüfung abzulegen. Für eine Generation, die durch den Ersten Weltkrieg ihre Jugend verloren hatte, wurde eine neue Tür geöffnet und eine Schule ins Leben gerufen, die für mehr Bildungsgerechtigkeit Sorge tragen sollte.

Ich habe es selbst in meiner Nähe erlebt, wie viele begabte Arbeiterkinder durch rauhe Schicksalsschläge am Studium verhindert wurden. Dieses Erlebnis führte zum amtlichen Interesse und der lebhaften Anteilnahme des Herzens. Mit doppelter Freude erfüllt mich darum der heutige Tag.“
1928, der Minister für Bildung bei der Eröffnung der Arbeitermittelschule in Linz

In der Zwischenzeit ist viel geschehen: 1940 wurden erstmals auch Frauen aufgenommen, doch es dauerte bis 1987, bis mehr weibliche als männliche Studierende (51%) diesen zweiten Bildungsweg in Anspruch nahmen. Zu den ganz großen Veränderungen in den letzten Jahrzehnten gehören die Einführung der vorgezogenen Reifeprüfung (1992) und des Fernunterrichts (1995). Mit dem Umstieg auf das Modulsystem (2011) gelingt den Abendgymnasien eine österreichweite Vorreiterrolle im Bereich der AHS. Die letzten Neuerungen bestehen im Angebot eines Quereinsteiger-Semesters, speziell für Studierende mit Vorkenntnissen sowie ein dritter Zweig, das Wirtschaftskundliche Realgymnasium.

Trotz der vielen Veränderungen und Innovationen weht der Grundgedanke von 1928 noch allabends durch die Gänge der Schule, nämlich jungen und älteren Menschen, die aus welchen Gründen auch immer den Weg zurück in die Schule suchen, eine erstklassige zweite Chance anzubieten, ihre Bildungsziele zu erreichen und dadurch gesellschaftliche Teilhabe und ein selbstbestimmtes Leben zu befördern.

Wer sind unsere Studierenden?

Wir sind sicher ein Gymnasium, dessen Besucher:innen einen relativ repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung darstellen. In unsere Schule kommen Menschen aus bürgerlichen Verhältnissen und solche, die bereits fundierte Ausbildungen mit Berufserfahrung haben. Junge Mütter und Väter, zahlreiche Alleinerziehende, einige Spitzensportler:innen und viele Tagesschüler:innen, die an unsere Schule wechseln wollen oder müssen. Manche, die eine Schule oder Lehre abgebrochen haben und bei uns wieder Fuß fassen. Andere, die über eine Pflichtschulbildung oder Lehre verfügen und nach neuen Perspektiven suchen.

Ich kam als einfacher Schlosser an die AMS, nicht sehr beschwert von Wissen, auch keinem eingebildeten, und im Laufe von vier Jahren hat sich mir eine Wunderwelt erschlossen. Die lateinische Sprache, ein Monumentalwerk geistigen Inhaltes der Antike. Der Unterricht in Deutsch brachte Erkenntnisse über Entstehen, Werden und Anwendung unserer Muttersprache. In Mathematik, begonnen mit den kleinsten Bauelementen, Zahlen und Punkte, wurden einen nie geahnte Möglichkeiten des Rechnens gelehrt. Es war großartig. Englisch lernen – ein Vergnügen! Das war es gerade nicht, aber doch war es wertvoll. Dank für die Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit, die Sie uns angedeihen ließen.“
1953, einer der ersten Absolventen im Rahmen eines Jubiläums

In unsere Schule gehen zunehmend auch Menschen, die unter psychischen Belastungen, pandemiebedingten Rückschlägen und unterschiedlichen Handicaps leiden. Wir haben in den ersten Semestern einen hohen Anteil an Migrant:innen und in den letzten Jahren eine zunehmende Zahl an jungen Frauen und Männern mit Fluchterfahrungen. Zu uns kommen aber auch junge Menschen, die sich orientierungslos fühlen, die noch nicht wissen, wo ihr Platz in der Welt sein könnte.

Wir haben an unserer Schule voll Berufstätige, für die es wegen der Anforderungen am Arbeitsplatz und in der Familie zeitlich immer schwieriger wird, dies alles zu bewältigen, aber auch Menschen, die zeitweise arbeitslos sind, Teilzeit arbeiten, geringfügig und prekär beschäftigt sind oder mehrere kleine Jobs verrichten, um sich existenziell durchs Leben zu bringen.

Unsere Absolvent:innen äußern oft eine tiefe Dankbarkeit für die einzigartige Bildungserfahrung, die sie während ihrer Zeit an unserer Institution gemacht haben. Viele betonen die Flexibilität, die es ihnen ermöglichte, Bildung mit beruflichen und persönlichen Verpflichtungen oder Einschränkungen in Einklang zu bringen. Die individuelle Unterstützung und gezielte Beratung des sehr engagierten Lehrer:innenteams wird häufig als Schlüssel zum Erfolg genannt.

Natürlich war es manchmal stressig und anstrengend, aber im Endeffekt hat mir diese Schule dabei geholfen, meinen durchaus turbulenten Bildungsweg mit einem guten Gefühl abzuschließen und ich finde, das ist sehr viel wert.“
2022, eine Absolventin, die mit Auszeichnung maturierte, in ihrer Maturarede

Die Zahl derjenigen, die unsere Schule vor der Erlangung der Reifeprüfung verlassen, war und ist hoch. Die Ursachen sind vielfältig, aber für fast alle gilt, dass der Ausstieg nicht ein Weg des Scheiterns war, sondern ein Aufenthalt im Möglichkeitsraum Schule, der jedenfalls neue Perspektiven und persönliche Klarheit mit sich gebracht hat.

Aktuelle Einblicke

Das Wintersemester haben wir mit einem neuen Höchststand von 650 Studierenden begonnen. In der ersten Semesterwoche vollbringen die Studienkoodinator:innen gemeinsam mit dem Verwaltungsteam das große Kunststück, ebensoviele individuelle Stundenpläne mit den Studierenden gemeinsam zu basteln und in unser System einzubuchen. Erst dann können wir ermessen, ob unsere prognostizierte Lehrfächerverteilung auch tatsächlich der Nachfrage entspricht. Ein Umbau ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel und zeugt von der großen Flexibilität auch im Team. Ist diese Hürde des Semesterbeginns geschafft, gibt es ein kurzes Aufatmen und dann sitzen schon die ersten Kandidat:innen bei den Reifeprüfungen des Herbsttermins und wir öffnen bald darauf die Anmeldung zur Reifeprüfung im Wintertermin. Dreimal im Jahr sind wir mit der Abhaltung der Matura befasst, einen „Nebentermin“ gibt es bei uns nicht. Dafür unzählige vorgezogene Teilreifeprüfungen, sogar die VWA kann man vorziehen. In Summe vollenden im Schnitt 50 bis 60 Maturant:innen pro Jahr ihren Abschluss. Die drei Maturafeiern sind Highlights der schulischen Festlichkeiten und haben im Festsaal der Spittelwiese ein würdiges Ambiente. Weiße Fahnen kennen wir ob der fehlenden Klassenverbände nicht, dafür gibt es weiße Rosen, sehr viel gute Musik und beherzte Reden, die die persönliche, aber auch gesellschaftliche Bedeutung des Abschlusses würdigen und poetisch ausleuchten.

Wofür wir stehen?

Das Kollegium des Abendgymnasium Linz hat im Laufe der Zeit ein fein gestimmtes Sensorium dafür entwickelt, Menschen, die in ihrer Lern- und Lebensbiografie Schwierigkeiten hatten, Unterstützung und ein angemessenes Bildungsangebot angedeihen zu lassen. Die zweite Chance wird erwachsenengerecht, auf Augenhöhe und in größter Wertschätzung begleitet, die Erfolge unserer Absolvent:innen sprechen für sich, davon zeugt auch unsere starke und lebendige Verbundenheit mit dem Absolventenverband. Diese Gabe, kann man auch dem aktuellen Kollegium attestieren – es scheint so, dass diese förderliche Grundhaltung von Generation zu Generation weitergegeben und -entwickelt wird.

Die entscheidende Frage, die wir als Institution immer wieder aufs Neue stellen und beantworten müssen, ist, für wen wir als Schule künftig da sein werden. Eines ist uns dabei klar: Wir wollen unserer Gründungsidee und der erfolgreichen Geschichte, eine Schule der ernsthaften zweiten Chance zu sein und Bildung für unterschiedliche Lebensphasen und -umstände zugänglich zu machen, treu bleiben. Dafür arbeiten wir selbstbewusst, leidenschaftlich und beherzt.
Happy Birthday, Abendgymnasium!

Aus ganzem Herzen wünsche ich der Linzer Arbeitermittelschule, ihren Schülern und ihren Professoren ein gutes Gelingen der schwierigen und verantwortungsvollen Arbeit, an deren Beginn wir stehen und erkläre die Linzer Arbeitermittelschule für eröffnet!“
1928, der Minister


Text: Dir.in Mag.a Maria-Luise Walser, 2023

Die Zitate stammen aus dem Archivmaterial der Schule und einem Pressetext aus dem Tagblatt vom 3. Oktober 1928

Nach oben scrollen